Das Sechste Königreich by CrazyEddie | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Südwind

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Die nächsten Tage verbrachte Gavín in einem Zustand der Ruhe, Überraschung und bodenloser Erleichterung. Er war ein vollwertiger Druide. Er war nicht unter dem Einfluss der Stille und er konnte mit allen sprechen und sie berühren.

Gorath hatte ihm sogar das Zeichen der Druiden an der Fibel und den Anhänger an der Kette eigenhändig ausgehändigt und umgehängt. Er bekam neue Kleidung, darunter eine neue Robe und ein neuer Umhang. Beides würde ihm gute Dienste leisten auf der Reise nach Süden. Zum Glück war es kaum eine Woche, bis er die Universität erreichen würde.

Freyrín hatte sich genauso wie Gavín gefreut und sogar das ganze Lager bekocht mit ihrer eigenen Suppe und einem Kräuterkuchen, der alle in eine seltsam gelöste Stimmung brachte. Natürlich hatte sie keine entspannenden Zusätze hineingebacken, wie kommt ihr nur darauf?

Das war die erste Nacht seit langem, in der Gavín keine Träume hatte. Weder die kräftezehrenden Alpträume noch die tränenreichen Träume, wo er nicht wusste, woher und wie er mit ihnen umgehen konnte oder sollte.

Am nächsten Tag fühlte er sich zwar nicht erfrischt, aber zumindest nicht allzu ausgemergelt, wie es die letzten Wochen noch der Fall gewesen war. Dennoch... er hätte Gesellschaft gebrauchen können. Nicht einfach nur jemand, der da war, sondern die andere Art von Gesellschaft. Aber er erinnerte sich an seine Schwüre, atmete tief durch und vergrub diese Bedürfnisse für den Moment.

"Mein Schatz." Freyrín setzte sich neben ihn, als er nachdenklich am Feuer saß, welches langsam herunterbrannte. "Willst du wirklich schon morgen abreisen? Die Universität prüft erst im Herbst wieder."

"Ich weiß."

"Was willst du denn sonst machen?"

"Das Land erkunden. Ich will zu Vater und ihm zeigen, was ich geschafft habe. Und ich möchte nach Dorstein, um den Adligen zu finden, der Anette und Diana gekauft hat."

Freyrín musterte ihn forschend mit ihren strahlend blauen Augen, dann schüttelte sie den Kopf. "Die Zeit hast du nicht, selbst, wenn wir mit dem Wagen fahren. Ich werde den Adligen ausfindig machen, wenn du möchtest."

"Nein." Er räusperte sich. "Nein, ich möchte es selbst erledigen. Ich möchte dich nicht in Gefahr bringen."

"Mich?" Freyrín lächelte schmal. "Gavín, es ist nicht deine Aufgabe, mich zu beschützen, es ist andersherum."

"Ich weiß, Ma." Er stupste sie mit der Schulter an. "Dann werde ich nur nach Nimri gehen und vielleicht hat Vater sogar etwas da, was man essen kann."

"Ach was, das wird er nicht schaffen. Lass uns gemeinsam fahren und ich bringe dich zur Universität, was hältst du davon?"

"Und deine Pflichten?"

"Kann ich auch erledigen, wenn ich mit dir reise, oder?" Sie kramte in ihrer Tasche herum und förderte ein gewebtes Armband zutage, durchwirkt mit Silberfäden. "Das... habe ich für dich gemacht. Im Licht der Sterne mit meinen eigenen Händen, nur mit dem Mond an meiner Seite. Für den Falls, dass dich die Stille ereilt und wir uns nie wiedersehen werden."

"Du hast das vorbereitet?"

"Ich war auf alles gefasst, ja. Gräme meiner nicht, ich wollte nur, dass du dir meiner Liebe sicher bist."

"Aber bin ich das nicht auch so?"

"Sicher. Das ist ein Schutzzauber, den ich von meiner Mutter gelehrt bekommen habe. Wenn du deine Diana gefunden hast, bringe ich ihn dir auch bei." Damit band sie ihm das Armband um das Handgelenk. Das Machwerk schmiegte sich erstaunlich angenehm an seine Haut, von den Silberfäden war kaum etwas zu spüren, aber Gavín erahnte die Macht, die von dem gewobenen Werk ausging.

"Danke.", murmelte er, dann fiel er ihr um den Hals und drückte sie fest, hoffentlich ohne ihr wehzutun. "Was würde ich nur ohne dich machen..."

"Urgh, verzweifeln!" Freyrín klopfte auf seinen Arm und er ließ sie los. "Aber zuerst besuchen wir deinen Vater. Er soll es nicht von mir erfahren, sondern genauso stolz auf dich sein wie ich."

 

~~

 

Die Reise nach Nimri gestaltete sich als sehr ereignislos. Gavín fühlte sich trotz der Druidenweihe nicht erhaben oder mit Weisheit gesegnet. Es war nur, als hätte er jetzt eine Aufgabe geschafft und das Leben ginge weiter. Der einzige Unterschied war, dass er nicht mehr im Schutze seiner Mutter stand, sondern jetzt eigene Verantwortung trug.

Druide Gavín. Trotz der Mühsal fand er, dass es einen schönen Klang hatte. Das Zeichen der Druiden klimperte neben Lanialellaras Zeichen um seinen Hals unter der Robe. Ein angenehm schweres Gefühl.

Darion empfing sie an seinem Haus und bereitete mit Freyrín ein Festessen zu. Sie besuchten wieder die Kirche und Gavín erkundete die Stadt, so gut es eben ging in der kurzen Zeit. Freyrín wollte nur jemandem einen Besuch abstatten und Gav... er wollte ihr etwas Zeit mit ihrem Mann geben.

Aber auch hier konnte er etwas für sich gewinnen. In einem Geschäft für Schreibbedarf kaufte er sich ein neues Notizbuch und etwas Material für Tinte, die er dann selbst mit Wasser mischen konnte. Eine neue Schreibfeder gesellte sich dazu, war aber eigentlich nicht notwendig. Außerdem kaufte er sich bei einem Schmied einen neuen Dolch, denn den alten Dolch hatte er nicht von den Silberfischen wiedererlangen können. Die passende Lederscheide gab es dazu, welche er sich um seinen Unterschenkel band. Es fühlte sich direkt wieder wie gewohnt an.

Ein paar Silberdeut später hatte er auch seine Vorräte wieder auffüllen können, soweit es denn möglich war. Seine Ausrüstung brauchte er nicht zu wechseln und stellte ein paar neue Mischungen her, während er auf seine Eltern wartete.

Zwei Tage nach ihrer Ankunft verließen er und seine Mutter die Stadt wieder und fuhren nach Süden, um Lithrodil herum. Gavín bat irgendwann, ob sie nicht anhalten und den See anschauen könnten. Schließlich gab es Stiegen, Treppen und Stufen an den Kraterwänden, warum sie nicht also nutzen?

Am östlichen Bogen, an dem sie gerade vorbeifuhren, hielten sie an und bauten ihr kleines Lager auf. Am nächsten Morgen würden sie den Krater erklimmen, aber vorher kochte Freyrín noch einen stärkenden Eintopf aus einer der Quellen, die hier dann und wann aus dem Boden kamen, eine Pfütze bildeten und wieder verschwanden.

"Hm, Pilze.", summte Gavín, als sie unter den Sternen saßen. Der Sommer hielt nun stärker Einzug, sie brauchten die Decken eigentlich gar nicht mehr.

"Ich wünschte, ich hätte einen Riesenstockschwamm. Schön mariniert und gebacken..." Freyrín schnalzte mit der Zunge und Gavín lachte.

"Mach uns doch keinen Hunger, wir haben gerade erst gegessen!"

Der Aufstieg am Morgen war beschwerlich und beide trugen Mäntel, um sich vor den kalten Winden zu schützen. Die Stufen waren alt, von Zeit, Wind und Wetter zerfressen, aber mit etwas Umsicht durchaus begehbar. Fast zwei Stunden später waren sie oben am Rande des Kraters und Gavín setzte sich auf einen Stein, an dem auch seine Mutter Platz nahm. Beide mussten essen, trinken und zu Atem kommen. Die Luft war hier etwas dünner, das merkten sie sehr rasch.

"Hat sie echt hier oben gelebt?"

"Das weiß ich nicht. Wahrscheinlich wirst du es mir irgendwann erklären können." Freyrín reichte ihm den Wasserschlauch und erhob sich, wischte sich den Schweiß von der Stirn. "Aber schau es dir an. So schön und unberührt."

Ihr Sohn erhob sich ebenfalls, ließ den Blick schweifen und stimmte ihr zu. Der Krater war mit kristallklarem Wasser gefüllt, soweit das Auge reichte. Die Stadt war groß gewesen, das konnte er jedenfalls sagen.

In der Mitte des Kratersees befand sich eine langgezogene Landmasse, auf der einige Ruinen standen, aber ohne Boot würden sie diese nicht besuchen können. In jeder Haupthimmelsrichtung stand auf einer deutlich kleineren Insel ein Turm, der von ihrem Beobachtungspunkt sehr beeindruckend ausschaute und wahrscheinlich atemberaubend war, wenn man davor stand. Zwei der vier Türme waren an der Spitze geborsten, als hätte sie ein Blitz getroffen.

Neugierig setzte Gavín seine Schritte vorsichtig ans Ufer und schaute in den See, bevor er zurückschreckte. Es gab keinen Strand oder etwas in der Art, nur einen riesigen Abgrund, der sich bis nach unten fortsetzte, als hätte jemand die Stadt mit einem Beil oder Messer vom Rest getrennt und die Stadt versinken lassen. Er glaubte sogar, Häuser oder anderweitige Bauten an den Hängen und auf dem Grund zu sehen.

"Das sieht nicht natürlich aus.", murmelte er, fuhr sich über den kurzen Bart, den er mittlerweile trug, schaute sich um und kniete neben etwas nieder, was wie die Überreste eines Erkers ausschaute. Was immer dieser Stein gewesen war, war weder Granit noch Marmor. Er glänzte trotz all der Zeit, etwas Moos hatte sich in den Ritzen festgesetzt, aber sonst schien der Erker intakt. Muster waren in den Stein gehauen worden, aber zu welchem Zweck, konnte er nicht sagen.

Er fühlte sich wieder wie in der Höhle unter Yenur und fragte sich, ob die Höhle und der Krater irgendwie miteinander verbunden waren. Möglich war es auf jeden Fall, aber wer hatte dann die Mechanismen gebaut, die Wasser transportierten? Wurde dadurch etwas gekühlt?

Man hätte sich daran festhalten können, wäre der unterirdische See nicht bewohnt gewesen. In diesem Krater hier war es anders. Es gab hier kein Leben, nicht einmal Algen oder andere Unterwassergewächse. Mit der Hand probierte er das kalte Wasser und schmeckte, abgesehen von etwas metallischen Mineralien, nicht sonderlich viel, also auch keinen Schwefel, wie er ihn eigentlich in einem erloschenen Vulkan erwartet hatte.

Gab es denn noch Schwefel, wenn der Vulkan erloschen war? Und wie bei den Drachen hatte Lanialellara es geschafft, eine Stadt in einem Vulkan zu bauen?

Auch eine der Fragen, die Gavín den weisen Männern und Frauen der Universität stellen würde.

In der Ferne erblickte Gavín Boote, die von einigen Personen bewacht wurden, ein kleines Lager schien ebenfalls dort errichtet worden zu sein. Aber die Sonne am Himmel zeigte ihnen, dass es langsam schon wieder auf den Nachmittag zuging. Ein Ziel für das nächste Mal? Von ihrem Standort erschien es Gavín, als wäre es eine Forschungseinrichtung. Also hatte er wahrscheinlich im Laufe seines Studiums die Möglichkeit, den Krater wiederzusehen und auch mit dem Boot überzusetzen.

"Wollen wir zurück?", fragte Freyrín, die sich auf einer Erhebung niedergelassen hatte. Erst jetzt bemerkte Gavín, wie verdammt kalt es hier oben war. Nicht nur dünne Luft, sondern auch noch sehr kalt.

"Jorga wird uns wohl vermissen.", nickte Gavín, seine Mutter lachte nur, als sie ihm die Stufen langsam hinterherkletterte, die sich in den fast zwei Stunden nicht wirklich verbessert hatten.

Der Kaltblüter hatte sich neben den Wagen hingelegt und schaute sie treu-doof an, als Freyrín ihm einen Apfel gab, den er genüsslich verspeiste. Sein Blick sagte einfach nur "Wir können los, wann immer ihr wollt."

Einmal noch durch das kleine Stück des Goldwalds. Einmal noch am Tempel von Lanialellara vorbei und dann Erdhawyrst. Die Universität.

Gavín holte die versiegelte Schriftrolle aus seinem Beutel und strich über das schon sehr abgegriffene Schriftstück. Es hatte die letzten zwei Jahre nur leidlich gut vertragen, aber es war sein Schlüssel zu einem anderen Leben als Druide.

"Ich werde dich und das hier sehr vermissen.", murmelte er seiner Mutter zu, die sich lächelnd über die Augen fuhr.

"Aber Sohn, ich bin doch nicht aus der Welt. Und du kannst immer zu deinem Leben als Druide zurückkehren."

"Ja, vielleicht." Er lachte plötzlich. "Was wohl Sillana dazu sagen wird, dass ich jetzt ein Druide bin?" Dabei klopfte er sich klingend auf die Insignie an seiner Robe.

"Sie ist deine Schwester; freuen wird sie sich!"

"Hoffe ich für sie."

"He, fangt keinen Streit an, wenn ich nicht da bin."

"Ach, aber wenn du da bist, dürfen wir streiten?"

"Nein!"

"Oah, Mutter, entscheide dich."

"Nein." Sie streckte ihm die Zunge heraus, als sie ihm Brot und etwas Dauerwurst reichte. "Ich kann dir nicht genug sagen, dass ich sehr stolz auf dich bin. Elf Leben hin oder her, du bist immer noch mein Sohn."

"Ja. Ich wünschte, es wäre nicht nötig gewesen. Aber das... war nicht ich."

"Bist du denn jetzt du?"

"Nein. Ich weiß nicht, wer ich sein will." Ein Stück Dauerwurst verschwand. "Ich weiß aber, dass ich nicht derjenige sein will, der ich in Methellona war."

"Was wirst du tun?" Freyrín setzte sich ins saftige Gras, die Beine im Schneidersitz. "Ich sehe dich immer noch gequält in die Ferne schauen oder höre dich im Schlaf reden. Wirst du sie befreien?"

"Ich werde ihnen auf jeden Fall auf der Spur sein. Aber zuerst... ich." Er schluckte und schaute nach Süden zur Waldgrenze. "Ist das jetzt egoistisch? Das verstößt doch gegen einen der Sieben Schwüre."

"Gleichgewicht, mein Schatz. Du musst es finden und wenn du an alles und jeden denkst, aber nicht an dich, dann ist das kein Gleichgewicht."

"Warte." Er grinste sie schief von oben her an. "Soll ich jetzt Lehrer oder Schüler sein?"

"Beides. Auch das ist einer der Schwüre. Wir sind Weise, Lehrer und Schüler. Wir sind all das in einer Person. Also bringe ich dir etwas bei und du lernst etwas. In einem Jahr oder zwei bringst du mir etwas bei und ich lerne. Du hast dem ganzen Hain beigebracht, wie du einige deiner Mischungen zubereitest. Da warst du Lehrer und sie waren die Schüler."

"So... so ist mir das noch nie aufgefallen."

"Ein Wechsel der Perspektive kann manchmal nicht schaden, Sohn."

"Ja, Mutter.", seufzte er getragen, gab ein hustendes Lachen von sich und streckte sich dann neben ihr im Gras aus. "Ich bin froh, dass du stolz auf mich bist. Nichts bedeutet mir mehr."

Der Kuss auf die Stirn bedeutete ihm wahrscheinlich noch mehr, aber das sagte er ihr nicht. Noch nicht jedenfalls.

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