Schwarzblut by Barekamy | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Kapitel 8

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„Aufstehen. Los! Aufstehen! Raus aus den Decken und antreten!“, schrie ein Mann über den Burghof. 
Enrik hatte die Soldaten im Freien schlafen lassen, damit er sie besser im Blick hatte. Hätten sie erst ihre Zimmer in den verfallenen Türmen, wäre es komplizierter gewesen, sie zu überwachen. Daher hatte er erklären lassen, dass die alten Gebäude baufällig waren und jene mit Soldaten abgeriegelt. 
 
Und dennoch blickte er nicht mehr auf die ursprünglichen 326 Mann. Für jede Festung, die er je erblickt hatte, hätte die Hälfte dieser Männer gereicht. Doch hier war dem nicht so. Wenn er alle zehn Fuß einen Soldaten auf der Mauer postiert hätte, wären alle 326 nicht ausreichend gewesen. 
 
Auf dem Kriegszug durch die geraubten Länder, das trostlose Tal und den Aufstieg in die Nordfänge, hatte er mehrere hundert Männer verloren. Da konnte er sich keine Deserteure erlauben und nun blickte er auf mehrere leere Decken. 
Er ließ die Männer zählen, wie Vieh. Das tat er immerzu, um sich seiner Truppenstärke bewusst zu sein.
 
 
Es waren 314 Soldaten und auf jeden Elften von ihnen, kam ein Ritter. Er hätte gerne mehr Gesalbte zur Verfügung gehabt. Bislang waren seit Anbeginn des Kriegszuges sechs davon gefallen. 
Mit 35 Männern hatte man ihn entsandt. Von Dorf zu Dorf waren sie geritten und hatten jeden Mann rekrutiert, der nicht krank oder gebrechlich war. Die Frauen und Kinder waren Richtung Hauptstadt geschickt worden, während man die Männer mit Verpflegung, Unterkunft und medizinischer Versorgung köderte. 
 
Nach zwei Dörfern hatten sich ihnen die Kleriker des Allsehenden angeschlossen. Die Gläubigen sollten ihrem Ruf folgen. Geplünderte Dörfer erweiterten ihre Vorräte und wer sich dem Heer nicht in den Weg stellte, konnte mit ihnen marschieren. 
Die gesammelte Streitmacht des Prinzen sollte sich am Tag des Frostmonds an der Winterfestung des ehemaligen Achat Ordens, mit den Heeren der Fürsten vereinen. So hatte man es Enrik Grünzweig versichert. 
Der Kommandant hatte bereits mit einer Verspätung gerechnet und ging vom schlimmsten aus: dem Einfallen der Barbaren, vor dem Eintreffen der anderen Heere. Für diesen Fall benötige er so viele Soldaten, wie er bekommen konnte.
 
Jene standen mittlerweile in Reihen, die eher Schlangen, als geraden Linien glichen. Manche in ihrer Kampfausrüstung, weitere mit nichts als Tuniken am Leib. Was sollte er von diesen Bauern anderes erwarten? Das sie wussten, wie man ein Lager errichtet, war das mindeste.
 
Mit strengem Blick und dem Rücken in Richtung der Mauer, beäugte er sie. Mann für Mann sah er ihnen ins Gesicht. 
„Wenn ihr euch nach rechts oder links umblickt, werdet ihr erkennen, dass manche eurer Kameraden verschwunden sind“, sprach der Prinz mit lauter Stimme zu den Männern. Diese hallte an den Türmen und Gebäuden hinter ihnen wieder.
Ein Raunen ging durch die Menge, doch Enrik brachte die Soldaten alsbald wieder zum Schweigen.
 
„Das Tor blieb die ganze Nacht verschlossen. Es ist der einzige Eingang und Ausgang. Das bedeutet, dass die zwölf von euch, welche sich in der Dunkelheit davon geschlichen haben ...“, Enrik zeigte auf die leerstehenden, steinernen Gebäude in Richtung der Bergspitze, „... sich dort verstecken“.
 
Die Meute wurde lauter. Einige riefen etwas, doch der Prinz antwortete nicht. Stattdessen hob er eine Hand und wartete, bis die letzte Stimme sich wieder gesenkt hatte. 
„Ab heute wird das Essen stärker rationiert. Wer mir einen Deserteur bringt, bekommt in Zukunft dessen Ration.“
Mit diesen Worten ließ der Kommandant seine Truppe stehen und ging zur Treppe, welche auf die Mauer führte. Er konnte es sich nicht leisten, die Soldaten aus dem gemeinen Volk gegen seine getreuen Ritter aufzubringen. Daher wollte er sie selbst ihre Eigenen jagen lassen. Er wusste genau, dass er die Männer mit einer Belohnung zu so gut wie allem bringen könnte. Dennoch hatte er den Priester angeordnet, ein paar Worte zu sprechen. Oder zu „verkünden“, wie sie es nannten. 
 
Zwar war er sich bewusst, dass der Klerus sich in diesen Zeiten nichts von der Krone oder deren Vasallen vorschreiben ließ, aber er hatte auf die Eitelkeit und den Stolz des Priesters gesetzt und damit richtig gewettet. 
„Werte Gemeinde“, begann der Namenlose, seine hochtrabende Rede, für die er sich eine ausgefallene Robe, bestehend aus mehreren Schichten des gelb-orangenen Stoffes, verziert mir weißen Augen und Lichtstrahlen, übergeworfen hatte.
Er sah aus, als hätte er die edelsten Gewänder der adligen in Streifen geschnitten und sich über den Körper gehängt. 
 
„So wie der Allsehende auf seine Kinder Niederblickt, so gütig und gnädig er mit ihnen ist, so strikt ist er auch. Er schickt uns seinen heiligen Segen, wacht von der Sonne über uns alle und schenkt und das Leben, wie das Licht und seinen gesegneten Willen. Getragen durch uns!“
 
Die Gehilfen des Priesters erhoben ihre Hände gen Himmel und hielten sie dann vor ihre Augen.
„Dies ist ein Zug der Gerechtigkeit für das Wohlwollen unseres großen Herren! Wir, die wir unwürdig unter seinem richtenden Blick wandeln, der nicht auf unsere fleischlichen Hüllen, sondern in unser aller Herzen fällt, sind daher verpflichtet, seinem Wunsch nachzukommen. So ist sein Wunsch der Wille des Klerus und die Mission der Heman, welche seinen Wegen folgen werden. Wie er unsere Vorfahren eins in dieses Land geführt hat, so führt er uns auch jetzt.“ 
Der Priester hielt inne, während seine Gehilfen, dessen letzten Halbsatz wiederholten.
 
„Doch manche von uns sind führerlos und blind in ihrer Seele! Dem Abgrund zu und dem Allsehenden abgewandt. Ich sage euch: Auch in euren dunkelsten Stunden, hat sich sein heiliger Blick nie von euch abgewandt. Also werdet seiner würdig und verneigt euch vor seiner Vollkommenheit. Die Unbeugsamen, Verräter an Land und Leben, diese, welche die unvollkommendsten seiner Geschöpfe sind, sollt ihr uns bringen. Und wenn ihr dies tut, so soll ich euch segnen, für eure Taten und euer Bestreben nach dem Richtigen und dem einzig Guten“, verkündete der Priester mit anschwellender Stimme und mehr Bestimmtheit darin, als so mancher Kommandeur. 
 
Einige Männer jubelten, einzelne nickten bedächtig und wieder andere begannen zu tuscheln. Enrik hatte das Geschehen erst von der Treppe und dann vom Wehrgang aus, genauestens beobachtet. Der Priester war ein nützliches Mittel, aber von ihm ging ebenso eine Gefahr aus. Der Prinz wusste um die Ausstrahlung und die manipulativen Fähigkeiten des Klerus. Kaum einer konnte das gemeine Volk besser in Bewegung setzen. 

 

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