Schwarzblut by Barekamy | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Kapitel 12

5073 0 0

Belasar hetzte durch den Schnee. Er trug den Verletzten dabei wie einen Sack Mehl, von geringem Gewicht, über der Schulter. Ob er verfolgt wurde, konnte er nicht einschätzen, jedoch beschlich ihn ein ungutes Gefühl. Es war wie ein Kribbeln im Nacken, als würde ihn jemand dort mit einem Dolch kitzeln, stets bereit zuzustechen.
Im zickzack Muster stürmte er von der einen zur anderen Gasse. Nirgendwo traf er auf Soldaten. Als hätten sich alle Sucher mit einem Mal in Rauch aufgelöst. 


Etwas ertönte hinter ihm. Er konnte das Geräusch nicht zuordnen. Es klang wie ein sterbender Eber, oder ein kreischender Säugling. Ein so hoher Ton, dass er kaum von einem Hemnan stammen konnte. Und trotzdem war es ihm bekannt. Einmal, als er einem Mann den Schädel gespalten hatte, war einer Frau ein ähnlicher Ruf entwichen.
Vorbei an grauen Fassaden und verschneiten Ruinen, zusammengefallener Türme und Häuser, welche aus Steinziegeln, mit Kieseln, Lehm und Stroh in den Zwischenräumen, erbaut worden waren, trug er seinen Begleiter. Er wusste nicht, wohin er gehen sollte und wollte sich nicht eingestehen, sich verirrt zu haben.


Theovin hätte ihm in dieser Lage den richtigen Weg weisen können, das wusste er. Doch jener lag keuchend über der Schulter des Bären und rührte sich nicht.
Gerade als erneut ein Schrei aus der Ferne zu hören war, vernahm Belasar etwas anderes. Eine Tür war aufgeschwungen. Schlitternd kam er zum Stehen und wandte sich um. Dort stand ein Mann, der Belasar hilfesuchend und zugleich verängstigt ansah. Er wank ihn zu sich.


Ohne zu überlegen, ging der große Mann ins Innere des Gebäudes, wo der andere direkt die Tür verriegelte. Es war stockdunkel. Nur unter dem Türschlitz und durch die Bretter eines zugenagelten Fensters, drang Licht hindurch.
Belasar legte Theovin auf ein Bett, welches mitten im Raum stand. Es bestand aus einem Holzgestell und Stroh, über das ein Laken gezogen war. Eine besser Schlafgelegenheit, als Belasar seit Monaten gehabt hatte.
„Er ist verletzt“, sagte der große Mann trocken.


Im Halbdunkeln erkannte er nicht die Reaktion des anderen, hörte aber, wie jener an seinem Gurt zu kramen begann. Dann ertönte ein altbekanntes Geräusch. Der andere zog ein Schwert.
Belasar hatte ihn nur wenige Momente im hellen gesehen und erinnerte sich an die Ausrüstung eines Soldaten der Reservetruppen. Seine einzige Waffe war ein Schwert, kaum länger als ein Dolch.
Der Bär zog seine Zweitwaffe, ein Kurzschwert. Der Fremde wich einige Schritte zurück.


„Nein nein. Ich will nicht kämpfen“, kam es von dem Soldaten.
„Mein Name ist Pecus und ich bin Heiler.“ 
„Und wofür braucht ein Heiler ein Schwert?“, fragte der große Mann ungeduldig.
„Ich muss ihm einen Verband machen. Ich habe durch das Schlüsselloch gelugt und da habe ich gesehen, wie stark er blutet.“
Belasar senkte seine Waffe und steckte sie zurück in die Schwertscheide. Dann kam er auf Pecus zu. Jener schnitt mit der Klinge in das Laken und trennte ein längliches Stück Stoff ab. Belasar sah ihm über die Schulter, während er Theovins Oberkörper entkleidete.
Der Angriff war durch die Lumpen, das Kettenhemd und dem Wams gegangen. Im Bauch, oberhalb des Nabels, klaffte eine Wunde, der stetig Blut entwich.


„Heb ihn an“, forderte Pecus und Belasar folgte mit kritischem Blick der Anweisung.
Der Heiler tränkte einen Teil des improvisierten Verbandes in Alkohol. Wie jeder Soldat trug er eine Ration mit sich. Bevor er den Stoff auf die Wunde legte, hielt er dem Verletzten den Mund zu, welcher bis eben regungslos da gelegen hatte. Dann drückte er zu, wickelte den Verband über den Bauch zum Rücken und griff ihn dann von der anderen Seite.
Da begann Theovin Laute von sich zu geben. Seine Augen weiteten sich, während der ganzer Körper verkrampfte. Er schrie in die Hand des Heilers hinein und als jener den Stoff mehrmals um ihn gewickelt hatte und die Bandage zusammenknotete, biss er Pecus in die Hand. Dann wurde er wieder schlaff und seine Augen schlossen sich.


Der Heiler und Belasar atmeten auf, als sich der Brustkorb des Verletzten hob und senkte. Zwar war es schwer zu erkennen, doch der Verband schien nicht durchzuweichen.
„Es ist nicht tief. Die Blutung wird gestillt werden, aber dafür wird er eine Weile hier liegen bleiben müssen. In der Zeit könntest du mir die ein oder andere Frage beantworten.“


Der Bär baute sich vor dem Kleineren auf. Eine halbe Portion von einem Mann. Zwar kräftiger als Theovin, doch der Haltung nach nicht so kampferprobt. Das musste etwas heißen, wenn man ihn mit dem Vernarbten verglich.
„Du mir ebenso“, erwiderte Belasar.


Er dachte nicht daran, sich bei dem Mann zu bedanken. Dafür traute er jenem nicht genug. Sie beide in sein Versteck aufzunehmen, musste einen Grund haben. Die meisten Gebäude waren bis zu einem bestimmten Grad unbrauchbar, aber dieses sah weitestgehend unbeschädigt aus. Es war der optimale Unterschlupf.
„Warum bist du alleine? Wo ist der dir zugeteilte Begleiter?“
Schweißperlen rannen dem Heiler übers Gesicht, wie Belasar durch das schummrige Licht erkannte. Ob das der Gesamtsituation oder der Frage zuschulden war, konnte der große Mann nicht sagen. 
Pecus sah zu Theovin, der nur still da lag.
„Ich war vor den Suchern hier.“


Ein Deserteur, dachte sich Belasar und wägte ab. Der Mann war ihm nützlich und zugleich brachte er ihn in Gefahr. Würde man erfahren, dass er den Fahnenflüchtigen nicht zumindest gemeldet hatte ... 
Die Konsequenzen konnte er nur erahnen. Bislang hatte sich der Kommandant wenig gnädig Verrätern gegenüber gezeigt. Er neigte dazu, ein Exempel zu statuieren, um die Ordnung zu wahren.


Dazu kam die Situation. Was diese schwarzen Kreaturen auch waren, mit gewöhnlichen Waffen töten, konnte man sie nicht. Wer wusste schon, ob sie alle diesen Tag überleben würden?
Belasar entschied sich dazu, vorerst Informationen zu gewinnen.


„Warum seid ihr desertiert?“, fragte der Bär unverblümt.
„Das verstehst du falsch“, kam er von dem Heiler, der schützend seine Hände erhoben hatte.
„Wie es auch klingen mag, ich bin nicht freiwillig hier her gekommen.“
Ob der Mann log, war für Belasar nicht zu erkennen. Er wartete ab, um sich die Rechtfertigung anzuhören.
„Des Nachts bin ich aufgewacht, weil mein Herz so schnell geschlagen hatte. Ich wusste nicht warum und war verwirrt. Um mich zu beruhigen, bin ich dann über das Gelände gelaufen.“


Der große Mann hatte mit etwas besserem gerechnet. Gerade als er Pecus der Lüge bezichtigen wollte, redete jener weiter.
„Und dann hab ich sie gesehen. Männer, Frauen, aus Fleisch und Blut. Leute die gar nicht hätten hier sein sollen. Tote. Sie wandelten durch die Nacht und niemand schien sie zu bemerken, niemand außer mir. Ich hielt es erst für einen bösen Traum, aber dann kamen sie näher. Sie gingen durch die Schlafenden hindurch und warfen keine Schatten. Ich bin natürlich gerannt und traf auf andere. Soldaten wie ich, die auch vor den Geistern flohen. Immer weiter bin ich gelaufen, bis ich plötzlich alleine war. Dann waren die Toten mit einem Mal verschwunden.“


Belasar legte den Kopf schräg. Er wusste nicht, was er von dieser Geschichte halten sollte. Hielt ihn der Mann für dümmlich oder hatte er zu viel getrunken?


„Und d-dann“, die Stimme des Heilers begann zu beben. „Mir sind die Gesichter so bekannt gewesen. Es – Es waren Patienten, die ich nicht retten konnte. Mit Ausschlägen, blutunterlaufenen Augen, Geschwüren, fehlenden Gliedmaßen, all dem. Jahre her zum Teil und doch waren sie so klar vor mir gewesen. Sie hatten gefleht, dass ich sie behandle ... ja.“
Die Stimme des Mannes klang belegt. Als wäre er nach wie vor verstört von der Situation. Einer, die es nie gegeben haben konnte.
„Als sie verschwunden waren, habe ich mich umgesehen. Der Mond war hell, aber ich wusste nicht wohin. Ich war mit einem Mal völlig allein.“


Er zögerte. Dann schluckte er hörbar.
„Es war so kalt und mein Blut war so seltsam dunkel. Und es stank bestialisch. Als ich einen Mann verarztet hatte, ihm war beim Erklimmen einer Burgmauer etwas entgegengelehrt worden, da hatte ich das ebenfalls gerochen. Wie verbranntes Fleisch, nur stärker, giftiger.“
Belasar erinnerte sich. So war es bei ihnen ebenso  gewesen.
„Schwarze Schatten“, sprach er zusammen mit Pecus. 
Der Heiler sah in überrascht an. Da deutete der Große auf Theovin. 
„Sie haben ihm ... das angetan.“


Der Heiler nickte mit weit geöffneten Augen. Seine Furcht war ihm selbst inmitten der Dunkelheit anzusehen. Die Aussage von Belasar war wie eine Bestätigung von dem, was er längst gewusst hatte. Jene Wesen waren noch da draußen und sie griffen Hemnan an.
Ein Lichtstrahl fiel durch eine Lücke zwischen den Brettern, am Fenster und traf auf den Verletzten. Für einen Augenblick war dessen schneeweiße Haut zu sehen. Sie war bleicher als sonst und die Adern waren ungewöhnlich dunkel, wie bei einer Wasserleiche. 
„Jetzt bin dran, zu fragen“, riss der Heiler Belasar aus dessen Gedanken.
„Warum hat sein Blut diese Farbe? Hast du gesehen, ob diese ... Dinger damit zu tun haben?“ 
„Du hast doch selbst gesagt, dass du schwarzes Blut hast“, erwiderte der Bär. „Ich nicht, was bei euch schief läuft.“
„Was ist mit deinem?“, kam es von Pecus.


Belasar nahm sich sein Schwert vom Gürtel und ging in Richtung des Heilers, der ihm entsetzt aus dem Weg sprang. Der Große schritt zu dem verbarrikadierten Fenster, um etwas erkennen zu können. Dann schnitt er sich, mit dem scharfen Metall, in die Daumenkuppe. Blut so schwarz wie Teer tropfte auf den Boden.
„Genau wie deins“, sagte Belasar mit beunruhigtem Ton.


Geschichten dieser Art hatte er schon immer geliebt, aber sich nie erträumt, jemals selbst in einer solchen vorzukommen. Dunkle Zauber und Flüche hatte es in seiner Welt nie gegeben. Schmerz und Leid führten nie auf böse Geister, Dämonen oder andere Wesen zurück. Es waren immer nur die Hemnan, welche fürchterliche Taten vollbrachten.
Warum sollte es jetzt anders sein?
Er schob die Gedanken beiseite. So sehr er sich den Kopf zerbrechen würde, begreifen könnte er es wohl nie. Und er wollte es ebenso nicht.


Wichtig war vor allem anderen, diesen Tag zu überleben. Er drehte sich zu dem Heiler, während er den Finger an seiner Hose abstreifte.
„Uns bleibt nichts außer hier zu verharren.“
Mit diesen Worten lehnte er sich gegen die Wand hinter sich. Pecus nahm neben ihm Platz.
„Hast du noch Met über?“


Der Heiler antwortete, in dem er dem Größeren seinen Trinkschlauch übergab.
„Ich bin Belasar“, sagte der Bär und nahm einen Schluck, seiner Körpergröße entsprechend.
Sie tranken gegen die Kälte, Verzweiflung und die Angst, während ein hauchender Wind am Fenster vorbeizog. Er klang wie der letzte Atem eines sterbenden Greises.

Please Login in order to comment!