Schwarzblut by Barekamy | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Kapitel 13

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Die Ritter stapften durch den Schnee, während die Böen sich ihnen in den Weg stellten. Das zusätzliche Gewicht der Rüstungen erleichterte dabei ironischerweise das Vorankommen. Dennoch war es ein Kraftakt, der sie am ganzen Körper schwitzen ließ. Sie kühlten drastisch ab, was die Männer aber nur dazu motivierte, sich durch Bewegung wieder aufzuheizen.
Allmählich nahmen die Winde ab. Das Scheppern der Rüstungen war zu hören. Es hallte durch die weiten Gänge. Der Kommandant hatte sich den Aufbau der Festung eingeprägt, seit er Karten dieser, zur Vorbereitung studiert hatte. Einige Gebäude waren hinzugefügt worden, andere wieder verfallen, was zeigte, wie alt die Archive seines Königshauses zurückreichten.
Haus Grünzweig, welches vor einem halben Jahrhundert noch als Dorest Ectwyrn bekannt war, wobei „Dorest“ in der vergessenen Sprache für „Königsblut“ stand, konnte seine Wurzeln bis vor die Gründung des Achat Ordens zurückverfolgen.
Irgendwann zu jener Zeit musste die Festung errichtet worden sein, welche seit dem als Ewigkeitsfort bekannt wurde. Nicht nur ein einzelner König hatte es erbauen lassen. Kein Hemnan lebte so lange. Es mussten mehrere Regenten gewesen sein, welche sich über viele Jahre am Bau beteiligt hatten.


All dies sah Enrik. Einem einfachen Soldaten wären nicht die verschiedenen Baustile, verwendeten Materialien oder der Verfall aufgefallen, welcher an manchen Bauten deutlicher, als an anderen zu erkennen war.
Schlachten von unverstellbarem Ausmaß waren an diesem Ort ausgetragen worden. Katapulte aus den Stromlanden und Ballisten vom Kontinent Gilmundor, hatte Enrik dabei beobachtet, wie sie Mauern und Türme niedergerissen hatten. Jene waren nicht halb so breit oder hoch, wie an diesem Ort gewesen. 


Selbst unter einem Mantel aus Schnee und Schutt wirkten die mächtigen Bauten unzerstörbar und uneinnehmbar. Welcher Feind es auch sein mochte, der an den Schützen vorbei und über die Mauer ins Innere eingedrungen war, der Prinz zollte ihm seinen Respekt und hoffte, dass dieser nicht in Furcht umschwingen würde.


Mittlerweile war es windstill geworden und einige Wolken zogen am Himmel auf. Zwar hatte der Kommandant bereits von dem wechselhaften Wetter des Nordens gehört, doch musste er zugeben, wie sehr er es unterschätzt hatte.
Enrik stoppte und hob den linken Arm, woraufhin seine Begleiter zum stehen kamen. Vor ihnen im Schnee lag jemand. Als er sich näherte, musste der Prinz feststellen, dass es sich um einen seiner Soldaten handelte. Ob es ein treuer Gefolgsmann oder ein Deserteur war, wusste er nicht, ging jedoch vom Schlimmsten aus.


„Ein Gefallener. Kann einer von euch ihn identifizieren?“, fragte er die Ritter. Dabei drehte er den Mann um, damit dessen Gesicht besser zu erkennen war.
Eine klaffende Wunde, kreisrund, wie von einem Speer, zeigte sich den Betrachtern. Ein Loch inmitten der Brust des Mannes, wodurch seine Rippen und inneren Organe zu erkennen waren. Keiner der Gesalbten wandte sich ab. Enrik war froh darüber, mit solchen Männern in den Kampf zu ziehen.


Während die Ritter sich versuchten an das Gesicht des Soldaten zu erinnern, betrachte der Kommandant dessen Körper genauer. Er war bleich, als wäre der Mann im Leben kränklich gewesen. Dabei war für die Soldaten immer gesorgt. Wer nicht in der Lage war weiter zu marschieren, bekam eine Abfindung und wurde in einem Dorf zurückgelassen.


Am Abend vor dem Aufstieg waren die Männer bei Kraft gewesen, obwohl der lange Marsch sie erschöpft hatte. Fieber, Husten oder Schnupfen hatte keiner. Erst durch den Hochweg waren manche Männer in schlechterer Verfassung gewesen. Warme Mahlzeiten und Feuer sollten sie aufheizen. Enrik erinnerte sich an keinen Mann, der so blass gewesen war.


Die tödliche Verletzung war ebenso ungewöhnlich. Zwar gab es unter den Soldaten etwa ein Dutzend Männer, welche mit Speeren bewaffnet waren, doch keiner davon hätte ein so großes Loch hinterlassen können. Enrik würde vermutlich seine beiden Arme hindurch bekommen.


Das Bizarrste an dem Toten war dabei nicht der Körper selbst, sondern der Schnee darum herum. Dieser war immer noch weiß, als wäre er frisch aus den Wolken gefallen. Ebenso blutleer, wie der Leichnam.


Nacheinander verneinten die Gesalbten, dass ihnen der Tote bekannt war. Einer erwähnte, dass er den Mann am Morgen des Tages, an einem der Feuer gesehen hatte. Enrik schloss daher aus, dass es sich um einen Deserteur handelte.


Sie ließen den Toten liegen und gingen weiter. Die Sonne zog sich im Westen allmählich hinter einem Wolkenmeer zurück. Trotzdem blieb es hell, was der Kommandant nur begrüßen konnte. In der kommenden Nacht würde der Mond nicht scheinen, wie in der vorherigen. 


Sich in der Dunkelheit einem unbekannten Feind zu stellen, wollte Enrik dringlichst verhindern. Deswegen hatte er dafür gesorgt, dass jeder seiner Männer und auch er selbst, eine Fackel mit sich führte. Der Kommandant prägte sich den Rückweg zum Hauptlager ein, falls ein taktischer Rückzug vonnöten war. 
Nach wenigen Schritten waren bereits die nächsten Gefallenen im Schnee auszumachen. Verunsichert und andächtig schritten die Ritter vorbei. Einer sprach ein Gebet. 


Erst waren es nur drei, dann zehn, zwanzig und irgendwann mehr, als Enrik sich zu zählen traute. In Gassen und auf dem breiteren Weg, ebenso auf der Türschwelle oder im Inneren einer Unterkunft liegend, fanden sie die Toten.


Allesamt hatten sie unerklärliche Wunden. Viele Kleine oder wenige Große, welche an verschiedenförmige Stangenwaffen erinnerten. Manche lagen mit dem Kopf auf dem Boden, als wären sie von hinten erstochen worden. An Füßen, Beinen, Armen, dem Oberkörper, Hals oder Kopf; die Einstichspunkte waren völlig zufällig gewählt. Und doch war in diesem Massaker nirgendwo Blut zu sehen.
Einige wenige Männer sahen aus, als hätte jemand versucht, sie auszunehmen – wie einen Fisch – sich aber während dem Prozess dagegen entschieden. Ihr Körperinneres war in Teilen nach außen gekehrt.


Ein Ritter übergab sich in den Schnee. Dann tat es ihm ein Zweiter nach. Beinahe wie eine Marionette ging Enrik weiter. Alles in ihm widersprach den bloßen, unausgesprochenen Gedanken, wer zu so etwas fähig war, genau wie dem Bestreben, dem Weg weiterhin zu folgen. Dennoch tat er es.


„Weitergehen“, befahl er mit strengem Ton.
Wut staute sich in ihm auf. Dies waren seine Untergebenen gewesen. Jeder ein Kamerad des nächsten. Er alleine war verantwortlich für sie und ihre Leben. Es lüstete ihn nach Vergeltung.


Vor der Truppe öffnete sich der Weg, zu einem weiten Platz, welcher vor langer Zeit einmal für Versammlungen verwendet worden war. Eine weiße Fläche erstreckte sich, die den Blick auf unzählige Soldaten freigab, welche zum Teil über einander liegen, mit ihren Waffen neben ihnen, im Schnee verendet waren.


Eine dunkle Wolke zog vor die Sonne und der Kommandant befahl einem Mann, seine Fackel zu entzünden. Die anderen und er selbst, entflammten die ihren an der Brennenden. Das Feuer in der einen und das Schwert in der anderen Hand, betraten die sechs den Platz.

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