Schwarzblut by Barekamy | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Kapitel 10

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Theovin zog sein Kurzschwert und Belasar die Kriegsaxt. Für jeden gewöhnlichen Hemnan, wäre jene Axt einer Hellebarde nah gekommen, doch in den Pranken des großen Mannes, sah sie aus wie eine gewöhnliche Waffe. Ein Stück Holz, fast so lang wie Theovin, mit einem kleinen, aber zerstörerischen Axtblatt am Ende. Der Vernarbte hatte schon mit angesehen, wie Belasar damit durch Wämser, Schilder und Kettenhemden gehackt hatte, als wäre es feinste Seide.
Die Gedanken des Vernarbten waren mit einem Mal geordnet, der Blick fokussiert und die Ohren gespitzt. Theovin rechnete damit, dass jederzeit ein Feind zwischen einem der Häuser herausschreiten und sie attackieren würde. Lange hatte er sich in Belasars Begleitung nicht mehr so sicher gefühlt. 
 
Das letzt Mal war es ihm so ergangen, als in einem der Dörfer, nahe der Grenze zu den geraubten Landen, einige Bauern mit improvisierten Waffen, auf ihre Kompanie zugestürmt waren. Belasar hatte einem Mann mit fahler Haut und dünnen, grauen Haaren, den Schädel gespalten. Ein Schwung mit der Axt, in sicherem Abstand, dann war ein Geräusch ertönt, als würde ein brennendes Stück Holz in zwei Teile zerfallen. 
 
Die Augen des Mannes hatten in zwei verschiedene Richtungen gesehen und der Inhalt seines Kopfes war zwischen Nase und Stirn aus diesem heraus gequollen. Jener Angriff war genug, um eine Mehrzahl der Angreifer zu verscheuchen.
Theovin erschlich das Gefühl, dass es dieses Mal nicht so verlaufen würde. Etwas Unheilvolles lag in der Luft.
 
„Aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaah!“
 
Es dauerte einen Moment, bis der Vernarbte verstanden hatte, dass dieses Geräusch nicht seiner Phantasie entsprungen war.
Direkt vor seinen Augen rannte ein Mann aus einer Seitengasse, wurde vom Wind einige Male beinahe umgeworfen und rette sich dann, zwischen zwei steinernen Gebäuden, welche einmal Wohnquartiere gewesen sein mussten.
 
Man sah, wie sich der Brustkorb des Mannes ungesund häufig hob und senkte. Er presste sich an die Wand hinter ihm, als wolle er darin versinken. Mit verstörten, weit aufgerissenen Augen blickte er zu Belasar und Theovin, welche auf dem breiten Durchweg zwischen den Häusern standen. Einige Momente lang starrte er zu den beiden Männern, dann drückte er sich von der Wand weg und sprintete, mit dem Wind in seinem Rücken, in die Richtung, aus dem die Kameraden gekommen waren.
Belasar würdigte ihn nicht eines Blickes. Stattdessen griff er die Axt mit beiden Händen und hob sie etwas über den Kopf, zu seiner rechten.
 
Theovin schlotterten die Knie. In ihm wurde es kälter als auf seiner Haut. Er schnaubte, als würde er zu sich selbst sprechen. Warum ging er vorwärts? Warum wollten seine Füße nicht aufhören zu laufen? 
Die Klinge in der Rechten zitterte, mitsamt dem ganzen Arm. Die Linke hielt er neben seinem Bein, als wüsste er nicht, wohin damit. Zu Theovins Pech besaß er keinen Schild. Schwächliche Soldaten wie er, konnten schon froh über ein Stück Metall sein, welches zu mehr als dem Kochen taugte. 
 
Belasar drehte sich zu seinem Begleiter um und schrie „Bleib dicht hinter mir!“.
Da wurde dem schmächtigen Mann klar, dass der Wind abgenommen hatte, da er den Bären besser hören konnte. Selbst der kräftige Zug, an seinem Körper, war nicht mehr zu spüren. Wenige Atemzüge später herrschte eine erdrückende Stille. 
Weißer Dampf entstieg ihren beiden Kehlen und sie fanden sich in einem Labyrinth aus grauen Gebäuden wieder, an denen vorbei, sich ein flaues Lüftchen züngelte. Kein Geschrei war mehr zu hören. Stattdessen breitete sich ein seltsames Gefühl in Theovins Nase aus. Es roch mit einem Mal nach Eisen. 
 
Obwohl es taghell war, sah sich der Vernarbte immer wieder hektisch um, als könnte plötzlich etwas aus dem Nichts auftauchen. Lange Schatten zogen sich über die Wände. Sie erklommen die Fassaden der anderen Gebäude. Alles war nur ein Gemisch aus Weiß, Grau und Schwarz. Jeder einzelne Schritt im Schnee ließ Theovin aufzucken, als wäre es ein Donnerschlag. 
Der Boden reflektierte das Licht der Sonne, die nicht von Wolken verdeckt wurde und blendete die beiden. Mit zugekniffenen Augen stapften sie weiter vorwärts. Der Untergrund wurde glatt, an den Stellen, wo der Fels durchschimmerte. Mit der Zeit wurden die Durchgänge schmäler und durch die Dächer, welche konstruiert worden waren, um dem hohen Schneefall Herr zu werden, wurden in unregelmäßigen Abständen, gespenstische Schatten in die seelenleeren Gänge geworfen.
 
Theovin erinnerte sich an etwas, was er vor langer Zeit in sich weggeschlossen hatte. Die eindrucksvolle, mächtig aufragende und dennoch blanke Architektur flößte ihm ein eigenartiges Gefühl der Einsamkeit ein. Dazu der Schnee, der ihn an seine alte Heimat erinnerte. An die Flucht. 
 
 
Durch Wälder und Wiesen, immer begleitet von einem Wind, welcher ihr Leid besang, ritten sie. Friedlich fielen die Schneeflocken auf die abgemagerten Kinderleichen. Wie kleine Dämonen wippten sie um das kalte Fleisch herum.
Der Vernarbte erinnerte sich an die Rufe der Plünderer, welche die Kornspeicher des Barons heimgesucht hatten. Zu jener Zeit war er naiv gewesen, im Glauben daran, dass die anderen verstehen würden.
 
Der Regent hatte dafür gesorgt, dass für jeden Bürger Nahrung, in jener grausamen Jahreszeit, zur Verfügung gestellt werden könnte. Damit sein Volk den Winter überstand, hatte er bereits im Frühling die Speicher füllen lassen. 
Unbewacht waren diese in der Wildnis gestanden, zwischen Bauerndörfern und Märkten. Dann brach der Herbst ein und Gerüchte kamen auf, man würde feinste Kost in den Burgen speisen, während das einfache Volk sich mit Kürbissen, Kartoffeln und Rüben durchschlug. Als die Seen zufroren, hatte so mancher Bauer sein Tier geschlachtet und es in Salz eingelegt. Hart sollten die kommenden Monate werden. Und das wurden sie.
 
Händler schlossen ihre Geschäfte, da die Preise in die Höhe getrieben wurden und niemand sich etwas leisten wollte. Ein Pilz hatte im nassen Herbs das Gemüse befallen. Da all die Bauern zu horten begonnen hatten, breiteten sich die Sporen aus und machten die Nahrung ungenießbar. Selbst in dieser misslichen Lage versicherte der Baron, die Bevölkerung zu ernähren.
Korn, Fleisch, Wasser, Kartoffeln und allerlei Wurzelgemüse, sollten die Bürger durch die Nahrungsknappheit bringen. Pro Kopf wurden Mengen ausgegeben, welche erlaubten jeden im Regierungsgebiet, bis in den Frühling des nächsten Jahres, zu versorgen. 
Im Niv, dem zweitkältesten Wintermonat, wurden die Leute ungeduldig. Bereits im Fulgumen hatte man die Rationen kürzen müssen, da manche Familien mehr Essen zu sich nahmen, als sie nötig hatten. Die letzte Volkszählung war schon zwei Jahre vergangen und so wurden Großeltern und Kinder dazugedichtet, welche nie gelebt hatten. 
 
In den letzten Wochen des Niv, wurde sich in besorgten Gruppen getroffen. Eine Zwiebel, ein halber Leib Brot und zwei Stangen Lauch weniger, in der Woche, brachten das Fass zum überlaufen. Jeder Bürger war sich selbst der nächste und beschuldigte den anderen des Diebstahls oder gar den Bürgermeister der ungerechten Aufteilung. 
 
Bewaffnete Truppen zogen durch die Straßen, bis im Crepusculium – dem kältesten Monat des Jahres – die ersten Konflikte entbrannten. Düstere Schemen waren durch die Gassen gewandert. Mit Laternen streiften sie von Haus zu Haus und klopften an die Türen. Theovin hatte, an den Vorhängen vorbei, durchs Fenster gelugt, während sie stetig näher kamen.
Er hatte sich auf seine Alten verlassen. Man erzählte sich, dass in diesen Zeiten so manche ihre Kinder im Wald aussetzten, doch Theovins Eltern hatten ihn und seine Geschwister stets besser versorgt, als sich selbst. Da war es schwer für ihn zu glauben, dass er nur mit seiner Mutter, auf einem Pferd durch den Schnee reiten würde.
 
Durch das Fenster auf der Rückseite des Hauses, erspähte er mit den letzten Lichtstrahlen des Tages, das Gesicht seiner jüngsten Schwester. Dann hörte er, wie die Türe eingetreten wurde. Theovins Mutter gab dem Pferd einen Klaps und blickte nicht zurück. Ihr Sohn aber beging diesen Fehler. Als Letztes hatte er in Erinnerung, wie etwas Leuchtendes durch das Haus geschwenkt wurde. Dann hörte er einen Schrei. Es war sein Vater. Seine Mutter hingegen verweilte regungslos.
 
Nicht ein kümmerliches Mal, hatte er sie weinen sehen. Immerzu waren ihre Augen geschwollen und die Stimme heißer, doch ihre Tränen verbargt sie.
 
Seine Mutter suchte stets nach neuer Arbeit, doch nie nach einem anderen Mann. Ihrer Lebzeit war sie verschwiegen und immerzu fröhlich. Liebevoll und doch so verlogen, weil sie es nicht ertragen konnte ihrem Sohn zu zeigen, wie es ihr wahrhaftig erging. Auf diese Weise hatte Theovin nie gelernt mit seinen Gefühlen umzugehen. 
 
Nie hatte er einen Freund, eine Liebschaft oder irgendjemand anderen gehabt, als seine Mutter. Eine fröhliche Frau. Bis auf dieses eine Mal. Nur an jenem Tag hatte sie geweint.
Theovins Narbe begann zu brennen. Es war die am Finger. Seine Armhaare stellten sich auf. Die Kälte drang durch das Gerippe hindurch.
 
Nichts konnte er unternehmen, als er von alle dem erfasst wurde. Sein Atem ging schneller. Mit einem Mal kamen ihm die Gebäude so nah bei einander vor und so hoch, so hoch, dass man den Himmel nicht mehr erkennen konnte. Sie blickten auf ihn herab, als würden sie ihn richten. Es musste dieser Berg sein. Was war das nur für ein Ort?
 
Etwas stach durch das Weiß. Eine brennende Farbe. So purpur wie die Flammen jener Nacht. Rote Pupillen blickten tief in seine Seele. Ein Schmerz durchzog die Körpermitte des Vernarbten, der ihn in die Knie zwang.
 
Der Lebensnektar floss über die Handschuhe. Wie an diesem Tag. Nur triefte das Blut diesmal aus seinem Bauch heraus. Es war so dunkel wie die Seele jenes Mannes und als es wie zäher Honig in den Schnee tropfte, erkannte er, dass es schwarz war.
 
„THEOVIN!“, schrie Belasar auf.
 
Da kam der zu Boden gegangene Mann wieder zu sich. Etwas war aus dem Schatten gekrochen. Es überragte den Bären um mehrere Köpfe. Unförmig, zugleich regungslos, als auch fließend, verschluckte es das Licht in sich. Belasar schwang seine Axt, doch diese versank lediglich in jener Gestalt. Da packte er den anderen, warf ihn sich über die Schulter und rannte. Theovin wusste, nicht wie ihm geschah. 
 
Hatte jene Kreatur ihn verletzt? War es sie gewesen, welche diese Gedanken aus den Untiefen seines Geistes an die Oberfläche gebracht hatten?
 
In das Weiß traten weitere Gestalten. Fünf, sechs, sieben, dann bog Belasar um eine Ecke. Immer noch roch es nach Eisen, nur war mittlerweile eine stechende Note hinzugekommen. Schwefel. 
Theovin fielen die Augen zu, bevor er den größeren Mann warnen konnte, dass sein Blut Spuren hinterließ. Es tropfte in den Schnee. So dunkel wie die Nacht.

 

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