Kapitel 1

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„Theovin, hast du noch etwas von dem guten Gesöff in deinem Horn?“, fragte ein bärtiger Koloss mit Wangen, an denen man nicht erkennen konnte, ob sie rot von der Kälte oder vom Suff waren. 
 
Theovin schniefte und rieb sich seine Nase. Vorsichtig, als könnte sie wie ein Eiszapfen alsbald herabfallen. Er sah selbst an seinem Ledergurt herab und schüttelte das Behältnis. 
 
„Nicht genug für uns zwei“, erwiderte der Mann mit dem vernarbten Gesicht. 
 
Er hatte sich einen Bart stehen lassen, welcher bis zum Kopfhaar hinaufreichte und dennoch sah man diese hässlichen Gebilde in seiner Fratze.
Er genoss die kühle Luft. Sie hielt ihn wach und trieb ihn an weiterzulaufen, um sich dadurch aufzuwärmen. Zudem bildete er sich ein, dass sein Gesicht weniger schmerzte, seit sie in den hohen Norden gekommen waren. Zu frisch schienen die Verletzungen auf seinem vom Feuer geküssten Fleisch.
 
Dennoch war er froh, da es wenigstens nicht eiterte. Seit er sich den gesalbten Rittern angeschlossen hatte, waren diese kaum zum Stillstand gekommen und kein Heiler hatte sich mit ihm abgemüht, gab es doch Männer, welche deutlich schwerer verletzt worden waren, als er. 
 
Gesalbt war er zu allem Überfluss nicht, also stünde er auf der Warteliste mit ziemlicher Gewissheit auf keinem der oberen Ränge. 
 
„Du Gierschlund“, fauchte der Bär von einem Mann neben ihm, versetzte ihm einen Klaps auf den Rücken und begann dann herzhaft zu lachen. Wäre der Vernarbte ein Pferd gewesen, hätte ihn das angetrieben, doch so wie er war – ein Skelett von einem Hemnan – stolperte er nur voran und rettete sich gerade noch davor in den Dreck zu fallen.
Der Größere zog ihn am Kragen seines Wamses wieder hoch und entschuldigte sich höhnisch bei ihm. Ein paar Männer prusteten bei dem Anblick. Doch sie lachten nicht über den abgemagerten Mann mit dem entstellten Gesicht, der beinahe in den Matsch geflogen war, sie lachten mit ihm. 
 
Theovin wusste dies selbst am besten, denn sie waren alle keinen Deut besser als er. Männer die losgezogen waren aus dem einen Elend, in das Nächste. Die Wenigsten, um ihren Familien Ruhm zu bringen oder um ihr Land zu verteidigen. Ihnen ging es darum, weg von ihrem meckernden Weib und ihren quengelnden Bälgern zu kommen, Geld zu scheffeln und dem Hunger zu entgehen. Und so wanderten sie durch ein verdorrtes Tal und johlten, dass es an den Berghängen widerhallte. 
 
Zu groß war die Komik in dem, was ihnen widerfuhr. In der Heimat fiel nicht ein Tropfen vom Himmel, wo die Felder ausgetrocknet waren und das Vieh dahinstarb und hier, an der Grenze zum Niemandsland schüttete es, dass sich Bäche in den Unebenheiten im Boden bildeten.
 
Viele von ihnen hätten am liebsten begonnen es zu trinken, doch der Untergrund war schlammig und es war verboten anzuhalten. So blieb ihnen nichts, außer ihre Münder gen Himmel zu strecken und Kelche aus ihren Händen zu formen, um das flüssige Gold – den Lebensnektar – in sich aufzunehmen.
Und dabei brüllten sie und der, der am meisten brüllte war Belasar, der Bär, wie ihn manche nannten, da er groß und behaart wie einer war.
 
Es gefiel Theovin, wie dieser eine Mann es schaffte, die Moral ihrer Männer zu heben. Zwar war der Vernarbte nicht immer für einen Spaß zu haben, dafür musste er sich, mit Belasar in Begleitung, nie langweilen.
 
Dazu kam, dass der Bär schon dem ein oder anderen Mann das Leben gerettet hatte.
Ehemalige Gefolgsmänner des gefallenen Königs und wenige Bauern, hatten sich bewaffnet, doch Belasar war vor Ort gewesen, um sie alle niederzumähen.
 
Selbst den Wegelagerern, an den Bergpässen hinter ihnen, hatte er gezeigt, zu was er mit seiner Kriegsaxt im Stande war.
Ungeachtet davon fragte sich der Vernarbte, ob es nicht zumindest die Verpfleger des Heers bereuten – welche sich Köche schimpften – ihn mitgenommen zu haben, denn so, wie er kämpfte, fraß er ebenfalls wie ein Bär, kurz vor dem Winterschlaf. 
Für die langen Wegstrecken, an denen kein Lager aufgeschlagen wurde, teilte Theovin seine Ration mit dem großen Mann. Er benötigte eine geringere Menge und zudem erhoffte er sich dadurch in der Gunst von Belasar zu stehen. Womöglich würde sich dies irgendwann bezahlt machen. 
 
„Theovin, was denkst du“, sprach der große, bärtige mit gesenktem Haupt, auf welches ohne Pause der Regen niederging. „Werden wir noch ein Kaff vor unserem Ziel erreichen? Ein wenig die Eier schaukeln und etwas guten Met trinken? Klingt doch verlockend.“ 
Er zwinkerte dem Schmächtigen zu. 
 
„Du weißt, diese nordischen Getränke sind eher was für dich. Ich bevorzuge Wein, aus dem Osten.“
 
Belasar machte eine abfallende Geste mit einer seiner Pranken. 
 
„Dann soll es eben das sein, mein Bruder. Aber es geht mir nur um den Gedanken.“
 
Er legte einen Arm um den kleineren Mann und drückte Theovin somit unbeabsichtigt zu den Füßen in den Schlamm. Der Vernarbte war ein Fliegengewicht, doch trug er ein Kettenhemd, das sein Gewicht erhöhte.
Belasar flüsterte, „Denk doch nur daran. Eine Felldecke, ein offenes Feuer und eine dieser dunkelhaarigen Jungfern, wie es sie nur hier zu geben scheint“.
 
„Das hört sich sicher verlockend an, Belasar“, begann der Vernarbte, während das Regenwasser über sein Gesicht rann. „Aber du weißt selbst, dass wir so kurz vor dem Ziel keinen Halt machen werden.“
Der große Mann schnaubte und kniff die Augen zusammen. Das tat er immer, wenn er seinen Zorn unterdrückte. 
„Wir... wir können tun zum Shaipur, was wir wollen! Wenn wir auf unserem Weg ein Dorf durchschreiten, werden mich keine zehn Pferde wieder davon wegbringen.“
 
Das Skelett von einem Mann blickte sich um. Die Reihen ihrer Kompanie waren nicht geschlossen und dank der fehlenden Formation, entstand genug Platz zwischen den Soldaten, welcher so einige private Gespräche zuließ. 
Sie waren die Vorhut. Entbehrliche Truppe aus dem einfachen Volk. Dennoch war hier und dort ein Soldat des stehenden Heeres postiert, um für Ordnung zu sorgen. Sie waren leicht zu erkennen, da sie zu den wenigen zählten, welche zumindest Teile einer ordentlichen Rüstung trugen. 
 
Die erste Kompanie, wie sie genannt wurde, bestand aus einhundert Mann. Diese trugen lediglich ausgemusterte Teile, welche entweder von Gefallenen im Kampf stammten oder bei deren Schmiedeprozess etwas schiefgelaufen war. Brüchiges Leder, mehrfach getragene Wämser und löchrige Kettenhemden, waren gerade gut genug für diesen Teil des Heers, selbst wenn man vom Rest kaum behaupten konnte, besser ausgerüstet zu sein.
 
Mancher Soldat, trug ein Bruchstück einer Plattenrüstung. Doch diese wurden lediglich als Belohnung an besonders wertvolle Kämpfer gegeben. Belasar hatte zwei Schulterplatten und eine Stahlplatte auf dem Rücken, welche ein Loch in seinem Kettenhemd verschloss. 
„Und was, wenn nicht?“, sprach er leiser als zuvor. 
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Er fragte in diesem Moment nicht nur den großen Mann, sondern sich selbst. Was, wenn kein Dorf mehr vor ihrem Zielort lag?
Theovin schwieg. Es gab nichts, was er Belasar zu sagen hatte. 

 

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