Schwarzblut by Barekamy | World Anvil Manuscripts | World Anvil

Kapitel 9

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„Kanntest du einen von denen?“, fragte Belasar Theovin mit einer Betonung, welche der Vernarbte bei dem großen Mann noch nie gehört hatte. 
War es etwa Mitleid?
„Nein. Ich könnte dir nicht mal sagen wie die“, Theovin stockte, um nicht das Wort Verräter aussprechen zu müssen, „diese Männer aussehen“.


Die beiden Soldaten waren abkommandiert worden, die verfallenen Barrikaden, nahe dem Zentrum der Festung, zu durchsuchen.
„Erst sind die Gebäude baufällig und jetzt müssen wir sie trotzdem durchsuchen“, pfiff Belasar durch die Zähne.
Theovin zuckte nur mit den Schultern und kickte gegen einen Korb, welcher leer zu Boden ging. Er war eher fasziniert davon, dass in der Festung noch Einrichtungsgegenstände standen, statt sich darauf zu konzentrieren, jemand zu finden. Wenn er mit sich selbst ehrlich war, wollte er gar keinen der Deserteure entdecken.


Die zusätzliche Ration würde er nicht benötigen und die Gefahr war ihm zu hoch. Zusammen mit dem Bären fühlte er sich zwar sicher, dennoch verängstigen ihn so manche Gedanken. Belasar wäre beinahe selbst zum Verräter geworden. Zumindest entnahm Theovin das ihrem Gespräch im trostlosen Tal. Wie hätte er sich in diesem Fall verhalten? Er wusste es nicht.


Belasar öffnete eine Türe und blickte in eine Art Lagerkeller. Ohne zu zögern, ging er die Steintreppen hinunter. Der Vernarbte hielt sich hinter ihm. Sein Herzschlag wurde schneller, während er gegen eine Wand aus stickiger Kellerluft lief. Es war deutlich kälter als an der Oberfläche, was Theovin gar nicht für möglich gehalten hatte. 


Er rechnete mit dem schlimmsten und hob die Hände schützend vors Gesicht. Nur wenige Lichtstrahlen fielen die Treppen herab. Plötzlich knarzte die Tür. Geschockt blickte Theovin auf und sah, wie sie ein Stück vor und zurück schwang. Der Wind wehte anscheinend durch das gesamte Gebäude. Es war trostlos an diesem Ort.


Der schmächtige Mann war kurz davor wieder nach oben zu laufen, um die Türe offen zu halten, da vernahm er etwas von Belasar.
„Wir haben aber ein Glück“, sagte dieser in die Düsternis hinein. 


Theovin trat einen Schritt nach unten und wartet, bis sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnten. Er erkannte jedoch keinen Soldaten, welcher sich versteckte. Stattdessen mehrere Holzfässer, von denen ein altbekannter Geruch ausging.
Belasar ging zu einem davon und öffnete den Deckel, um hineinzusehen. Der Vernarbte erkannte zwar nur den Rücken des großen Mannes, doch das genügte ihm schon, um zu wissen, worum es sich handelte. Der Bär freute sich wie ein kleines Kind. Mit einem geübten Handgriff nahm er sein Trinkhorn vom Ledergurt und tauchte das Behältnis in die Flüssigkeit. 


Er schwenkte es, begutachtete den Inhalt, roch dran und schüttete den edlen Tropfen dannach in den Rachen, wie ein Mann, der seit Tagen nur verdrecktes Brunnenwasser getrunken hatte. Sein ganzer Köper schüttelte sich. Belasar baute sich vor Theovin auf, nur um die Arme nach oben zu reisen und diesen anzugrinsen.


„Da hast du deinen Wein. Und was für einen. Der muss hier seit Jahrzehnten, wenn nicht länger, gereift haben“, erklärte der große Mann freudig. 
Es waren eher Jahrhunderte, wenn man sich die Gebäude genauer ansah. Etwas derart Altes hatte der Vernarbte sich nicht erträumt, je zu trinken.
Theovin nahm sein eigenes Trinkhorn und füllte sich etwas auf. Er hob das Horn, doch Belasar verstand nicht, dass der Vernarbte mit ihm anstoßen wollte. Der kleinere Mann vertrug weniger als der größere und nahm daher, seiner Statur entsprechende, Schlucke.
Es dauerte ganze sechs Hörner für Theovin und elf für Belasar, dass sie an den Fässern lehnten, zu besoffen, um nur einen anständigen Satz zu bilden. Der minderwertige Met, welcher sie auf ihrem Zug gen Norden begleitete, hatte sie abstumpfen lassen.


„Weissst du“, begann Belasar glucksend. „I-Ich glaub gar nich.. dass die weggelaufen sin.“
„Hm?“, kam es nur von Theovin, welcher langsam, mit dem Rücken, am Fass nach unten rutschte. 
„Na denk ma drüba nach. Die sin ja nich dumm. Also vielleeeeicht schon. Aber nich unbedingt, oder? Warum solltn die n weg laufen, nur um dann auf m Gelände irgendwo eh gefunden zu werden, hm?“ 
Belasar sah den Vernarbten an, als ob dieser ein Universalgelehrter wäre. Der hingegen lag mittlerweile vollständig auf dem Boden und schlug seinen Kopf regelmäßig gegen das Holz hinter ihm. 
„Also wenn ich da weggelaufen wär.. Also wär ich nicht. Wohin denn auch? Den Berg runter? Kein Faaall. Andre Richtung – zum Feind? Ne. Aber auf m Gelände is ja auch b..scheurt oder? Die find n einen ja sowieso.“


Der Bär musste aufstoßen und knallte dabei seinen Körper gegen das Fass hinter ihm, woraufhin sich auf ihn ein Schwall Wein ergoss. Er leckte sich den Mund, während sein Oberkörper begann sich zu schütteln. Einige tief in der Kehle kratzende Laute entwichen ihm, bis sich dies zu einem brüllenden Gelächter ausweitete. Auch Theovin musste lachen, wobei es bei diesem eher nach einem Hustenanfall klang.
„Wenn man uns so f-findet“, begann Theovin, welcher nicht ganz so lattenstramm war, wie sein Kammerade, der sich vor Lachen beinahe bepisste.
„Das w-wird Ärger geben.“
Belasar machte nur eine abwehrende Geste und rülpste dann genüsslich.
„Die wer uns schon nich finden. Und wenn doch sin se vermutlich froh, dass wir den Wein entdeckt ham“, säuselte der Größere.

Aus der Ferne ertönte urplötzlich ein Ruf. Gedämpft, als würde der Wind die Wörter einzeln einfangen, aber deutlich genug, dass man ihn nicht ignorieren konnte. 
Theovin sah zu Belasar, welcher nichts gehört haben wollte. Da ertönte erneut etwas. Diesmal leiser als das vorige Mal. Eine kurze Zeit war es still. Selbst der Bär schwieg, was daran lag, dass der Alkohol ihn hatte zusammensacken lassen.


„An.. ..nell ...stärk.. Hil..“


Nur Bruchstücke des Gesagten, passierten die stürmischen Böen. Den beiden Männern, welche sich im Gewölbe betrunken hatten, war entgangen, dass außerhalb des Gebäudes, das Wetter erneut umgeschwungen war. 
Mühevoll stützen sie sich an je einer der Wände und torkelten zur Treppe. Als Theovin auf der vorletzten Stufe angekommen war, schlug es ihm die Tür vor der Nase zu. Es wurde urplötzlich dunkel im Kellerraum. 


Der Vernarbte öffnete sie dennoch und ging durch das steinerne Haus. Die Eingangstüre stand offen, und der Wind ließ sie immer wieder gegen eine der Wände knallen. Mittlerweile verstand Theovin einen der Gründe, weshalb der Festungswall so hoch und das Gelände so leer war. Aus der Richtung des höchsten Punktes, welcher dutzende Mauerlängen höher am Berg lag, peitschte ein Wind durch die Festung, wie ihn der Soldat noch nie gespürt hatte.


Während er eine Hand aus der Tür streckte, spürte er den Zug, welcher in der Luft lag. Er sah auf und erkannte, dass der Himmel wolkenklar war. Die Sonne stand an ihrem höchsten Punkt und dennoch war es kälter als in der letzten Nacht. 
Im Gegensatz zu Theovin, lies sich Belasar von den Mächten der Natur nichts befehlen und schritt ins Freie. Er kämpfte sich vorwärts, als würde er in einem reißenden Fluss waten. Der Bär krümmte sich und verlagerte sein Gewicht nach vorn. Aus Richtung Norden ertönte immer deutlicher das Rufen einiger Männer. 


Der Vernarbte wollte nichts lieber, als sich in den Gewölbekeller zurückzuziehen, dennoch hielt er sich an den Bären. Er trat mit einem Fuß ins Freie. Ein kalter Strom erfasste ihn am ganzen Körper und drückte ihn rückwärts, trieb ihm den Suff aus. Seine Haare wehten umher, obwohl sie kurz waren, wie bei einem Jüngling. Der Mann fuhr sich durch den Bart, welcher zu seinem Pech nicht weit zu wachsen schien und glitt mit der Hand dann hoch zum Ansatz der Feuernarbe. 
Der Windzug zerfraß sein hässliches Antlitz, mit Zähnen aus Frost und einem Atem, so kalt wie der Tod. Geplagt zog sich Theovin die Lumpen höher, die er über Wams und Kettenhemd gezogen hatte und versuchte sich in den Windschatten seines Begleiters zu begeben. Frierend wankte er hinter dem Koloss. Theovin war mittlerweile wach wie nie und spürte nur wenig vom Alkohol. Es war, al hätte ihm die Natur die Trunkenheit aus dem Leib geprügelt.


„Angreifer! Kommt schnell!“
„Na loooos!“
„Überfall!“
„ Ruft Verstärkung! Hilfe!“
Diesmal waren die Stimmen klar zu erkennen. Schlagartig erinnerten sich die beiden Soldaten wieder, weshalb sie an diesen Ort gekommen waren.

 

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